von Ulf Brunnbauer
Die Regierung Trump 2.0 wendet sich von NATO und EU ab. Dahinter steckt weniger eine geopolitisch begründete Neuausrichtung der US-Bündnispolitik als vielmehr ein grundlegender ideologischer Wandel: weg von demokratischen Werten, hin zu Faschismus und einem Weltverständnis à la Putin. Für die EU eine äußerst gefährliche Entwicklung.
2007 hielt Russlands Präsident Wladimir Putin eine vielbeachtete Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz. In dieser wetterte er gegen die von den USA dominierte unipolare Weltordnung sowie die NATO-Osterweiterung. Er forderte Multipolarität und machte deutlich, dass er Russland als eines der Machtzentren dieser Ordnung sah. Viele erkannten zwar in Putins Rede einen Bruch mit der bisherigen Politik Russlands gegenüber dem Westen, da von Partnerschaft keine Rede mehr war. Einige hochrangige deutsche Politiker artikulierten aber auch Verständnis für Putins Position. Als wirklichen Weckruf haben in NATO und EU die Rede wohl nur wenige verstanden, sonst wäre man 2014 und dann noch mehr 2022 nicht so unvorbereitet auf die russische Aggression gegen die Ukraine und den hybriden Krieg Russlands gegen den Westen gewesen. Heute weiß man, dass man Putin schon 2007 beim Wort nehmen hätte sollen.1
Die Münchner Sicherheitskonferenz 2025 wird von zukünftigen Historikern vielleicht – ja: wahrscheinlich – ebenfalls als Wendepunkt in der Entwicklung der europäischen Sicherheitsarchitektur angesehen werden, nämlich als Ende der NATO. Der zweithöchste Vertreter der USA, Vizepräsident JD Vance, hat auf der Konferenz die EU, und nicht etwa Russland oder China, als Bedrohung von Demokratie und Sicherheit bezeichnet. Gleichzeitig machte er klar, dass die Europäer nicht weiter auf die Unterstützung der Vereinigten Staaten in ihrer Verteidigung gegen Russland bauen können. In seiner Beschreibung der vermeintlich undemokratischen Tendenzen in der EU – die es z. B. wagt, gegen Hassrede und russische Desinformation auf den in US-Eigentum stehenden sozialen Medien vorzugehen – klang Vance wie das russische Propagandafernsehen Russia Today, wo ein ähnliches Zerrbild der EU entworfen wird. Prorussische Parteien wie die AfD greifen es dankend als Beweis eine Diktatur in Deutschland auf. Nachdem schon Trump-Berater Elon Musk seine Unterstützung für die AfD erklärt hat, macht nun auch die US-Administration keinen Hehl daraus, wem sie einen Erfolg bei den bevorstehenden Bundestagstagwahlen wünscht. Es ist kaum zu glauben, aber wahr: Eine US-amerikanische Regierung unterstützt unverblümt prorussische (und eigentlich antiamerikanische) Rechtsextreme in Deutschland. Neben der ideologischen Affinität von Trump und seinen MAGA-Leuten zu Gruppen wie der AfD kann das eigentlich nur einen Grund haben: Die USA wollen die EU zerstören bzw. ihr dabei helfen, dies selbst zu erledigen.2 Die anwesenden Vertreter von EU und BRD machten nach der Rede von Vance einen entsprechend konsternierten Eindruck.
Das Bündnis scheint zerbrochen
Dass Vance bzw. Trump es ernst meinen, zeigen bereits die Umstände der weder mit den (ehemaligen?) Alliierten noch der Ukraine abgesprochenen Einleitung von „Friedensverhandlungen“ zwischen den USA und Russland. Nach seinem 90-minütigen Telefonat mit Putin zeigte sich Trump von diesem erneut sehr angetan und räumte gleich einige Positionen vor den Verhandlungen ab, bei denen man im Gegenzug für Zugeständnisse an Russland Putin zu Konzessionen hätten bringen können (wie eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine).3 So viel zum „Art of the Deal“. Vielmehr solle Russland auch wieder an den Gipfeltreffen der G7 teilnehmen. Zu den zeitnah angekündigten Gesprächen auf Außenministerebene ist die Ukraine gar nicht erst eingeladen, ebenso wenig die EU. Ein „Frieden“, der über die Köpfe der Ukraine und der Europäer verhandelt wird, zeichnet sich ab. Dass die USA an einer Beteiligung der EU an diesem Prozess nicht interessiert sind – höchstens am Begleichen der Rechnung –, machte auch der Sondergesandte Trumps für Russland und die Ukraine, Keith Kellogg, deutlich. Insofern ist in München im transatlantischen Bündnis nicht nur etwas zerbrochen (Hubert Wetzel in der SZ am 15.2.),4 sondern vielmehr scheint es so, dass das Bündnis selbst zerbrochen ist.
Zum Autor
Prof. Dr. Ulf Brunnbauer ist Historiker. Er ist Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung sowie Inhaber des Lehrstuhls Geschichte Südost- und Osteuropas an der Universität Regensburg.
Putin könnte 18 Jahre nach seiner Rede in München nun erreichen, worauf er seit langer Zeit systematisch hinarbeitet: die USA, die nicht weiter für die Sicherheit hier garantieren möchten, überlassen Europa sich selbst. Glaubt heute jemand ernsthaft, dass die Vereinigten Staaten unter Trump einem baltischen Land im Falle eines Angriffs durch Russland militärisch zu Hilfe kommen würden, im Sinne von Artikel 5 des NATO-Vertrages? Wenn aber ein Aggressor nicht mehr befürchten muss, dass es diesen Automatismus gibt – ein Angriff auf ein NATO-Mitglied ist einer auf alle –, dann ist es um die NATO geschehen, zumal angesichts des traurigen Zustands der Verteidigungskapazitäten der meisten europäischen Mitglieder. Nie seit Ende des Kalten Krieges war die Sicherheitslage für Europa so düster wie heute, angesichts der territorialen Gelüste eines imperial-revanchistischen Russlands sowie des wachsenden Einflusses von anti-europäischen und pro-russischen Parteien in der EU, zu denen sich nun mit einem ähnlichen Programm die US-amerikanische Regierung gesellt. Entsprechend erfreut und selbstzufrieden sind die Reaktionen in Russland auf Trumps Avancen.
Wenig überraschendes Drama
Wirklich überraschend kommen diese dramatischen Entwicklungen nicht. Trump hat schon während seiner ersten Amtszeit aus seiner obsessiven Abneigung gegen die EU kein Geheimnis gemacht. Zum einen ist sie vielleicht zu komplex für jemanden, dessen Aufmerksamkeitsspanne sowie Interesse für Details notorisch gering sind (wie wir dank der diversen Bücher von Mitgliedern der ersten Trump-Administration wissen). Zum anderen steht sie für Dinge, gegen die Trump tiefste Aversion zu verspüren scheint, wie Rechtsstaatlichkeit, Menschenreche, Gewaltenteilung, freier Welthandel und Supranationalität. Trump und seine MAGA-Anhänger im US-Kongress, notabene der heutige Vizepräsident, sowie die rechten medialen Echokammern wie Fox News haben in den letzten Jahren bereits offen die US-Unterstützung für die Ukraine kritisiert, einige mit Sympathiebekundungen für den russischen Standpunkt (was nicht ausschließt, dann dennoch zur Koordinatorin der US-Geheimdienste zu werden).
Viktor Orbán, innerhalb der EU der notorischste Gegner der Ukrainehilfen sowie selbsternannter Putin-Versteher, ist nicht ohne Grund so populär in der MAGA-Bewegung und konterkariert seit Jahren mit seinen Auftritten in den USA die Politik der EU. Die von Orbán über Jahre betriebene systematische Demontierung von Rechtsstaatlichkeit, der Abbau demokratischer Standards sowie die Hasspropaganda gegen innere und äußere Feinde im Namen eines christlichen (und weißen) Ultranationalismus gelten MAGA-Proponenten als Vorbild. Die großen USA folgen somit dem Beispiel des kleinen Ungarn – entsprechend euphorisch die Stimmung Orbáns; und dazu gehört auch die Ablehnung weiterer Unterstützung der Ukraine, denn diese kämpft im Namen von Werten, von denen sich Orbán und die MAGA-Bewegung abgesagt haben. Die Kehrtwende in der amerikanischen Ukrainepolitik war daher eine mit Ansage.
Die von Orbán über Jahre betriebene systematische Demontierung von Rechtsstaatlichkeit, der Abbau demokratischer Standards sowie die Hasspropaganda gegen innere und äußere Feinde im Namen eines christlichen (und weißen) Ultranationalismus gelten MAGA-Proponenten als Vorbild. Die großen USA folgen somit dem Beispiel des kleinen Ungarn.
Was diesen historischen Moment so bedrohlich macht, ist aber nicht „nur“ eine Rekalibrierung der Bündnispolitik der USA. Dass diese ihr Engagement in Europa reduzieren und ihre militärischen Kapazitäten stärker gen eine mögliche Bedrohung durch China ausrichten wollen, ist keine Neuheit, sondern wurde schon von Trumps Vorgängern verkündet (Russlands Invasion in der Ukraine 2022 setzte diesem Vorhaben vorerst ein Ende). Ebenso legitim ist es seitens der USA, von ihren NATO-Partnern mehr eigene Verteidigungsfähigkeit einzufordern – in der Tat ist es ein bleibendes Ärgernis, dass die EU trotz ihrer ökonomischen Potenz sich und ihre Partner nicht ausreichend militärisch verteidigen kann – die gesamte Wirtschaftsleistung der Europäischen Union ist mehr als neun Mal höher als jene Russlands, und die EU hat mehr als drei Mal so viele Einwohnerinnen und Einwohner wie Russland, aber in einem Krieg in der Intensität wie in der Ukraine würden die EU-Länder wohl nicht lange bestehen. Wobei es auch dem wachsenden Einfluss von Rechtspopulisten in der EU, die zumeist russlandfreundlich sind (und von Russland unterstützt werden), zu verdanken ist, dass eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsetats sowie eine langfristig angelegte Sicherheitspolitik von Wählerinnen und Wählern eher abgestraft denn belohnt werden.
Gleichschaltung statt Demokratie
Vielmehr geht es um einen fundamentalen Wandel in der ideologischen Grundorientierung der USA: Trump und die MAGA-Bewegung weisen deutlich mehr Überlappungen in Weltsicht und Geisteshaltung mit Putin (und seinen Geistesverwandten wie Orbán) auf als mit dem demokratischen Mainstream Europas. In rasanter Geschwindigkeit baut Trump, zusammen mit der wandernden Abrissbirne Elon Musk, die USA um. Heute, weniger als ein Monat nach Inauguration, können die Vereinigten Staaten nicht mehr als Demokratie bezeichnet werden, da sich das Parlament selbst ausgeschaltet hat. Mike Johnson, Sprecher des Repräsentantenhauses gab dies kürzlich offen zu Protokoll, als er die Kontrolle über die Staatsausgaben Musk überließ, obwohl diese laut Verfassung ein Prärogativ des Kongresses ist; von Kongresskontrolle der Musk’schen Umtriebe ist ohnehin nichts zu sehen. Die Tage der Gewaltenteilung sind gezählt angesichts sich massierender Attacken Trumps, Musks, Vances usw. auf jene Richterinnen und Richter, die es wagen, gegen die Trump-Administration zu urteilen. Vor den Augen einer offensichtlich weitgehend desinteressierten oder von rechtsextremen Medien erfolgreich desinformierten Öffentlichkeit geht ein Prozess vonstatten, der sich als Gleichschaltung bezeichnen lässt.
Nicht mehr weit zum Kampf gegen „entartete Kunst“
Trump nutzt bekanntlich eine politische Strategie, die sein Berater Steve Bannon als „to flood the zone with shit“ umschrieben hat. Die viele Scheiße soll die Gegner desorientieren und den Blick fürs Große und Ganze verstellen, weil es schwer geworden ist, zu identifizieren, welche Grenzüberschreitung und Machtanmaßung besonders gravierend wirken. Die Gegner ertrinken also in Fäkalien. Manchmal sind es aber gerade vergleichsweise bedeutungslose Akte, in denen sich die Natur eines politischen Regimes herauskristallisiert: Vor einer Woche ernannte sich Trump zum Vorsitzenden des Kennedy Center for the Performing Arts in Washington DC und installierte einen seiner bizarrsten Anhänger, den ehemaligen Botschafter der USA in Deutschland, Richard Grenell, als Präsidenten des Kunstzentrums. Neben dem Wunsch nach totaler Unterwerfung aller Institutionen unter den Willen des Präsidenten geht es hier um Kulturkampf: Trump warf dem Kennedy-Center vor, „anti-amerikanischen“ Künstlern eine Plattform zu bieten. Von hier zum Kampf gegen „entartete Kunst“ ist es nicht mehr weit, zumal angesichts des massiven Vorgehens der Trump-Administration gegen unabhängige Forschung und von offiziellen Sprachverboten für Bundesbehörden.
Seit Jahren gibt es in den USA eine lebhafte Diskussion, ob Trump ein Faschist sei. Der Historiker Timothy Snyder, bekannt geworden mit seinen Forschungen zu Osteuropa, gehörte zu jenen Wissenschaftlern, die Trump als solchen bezeichneten – und der dabei Parallelen zu Putin zog.5 Kurz vor den Wahlen im November 2024 äußerte auch General John Kelly, der sich am längsten auf dem Posten des Chief of Staff Trumps während dessen erster Amtszeit gehalten hat, dass Trump der Definition eines Faschisten entspreche. Kelly spezifizierte seine Definition: „It’s a far-right authoritarian, ultranationalist political ideology and movement characterized by a dictatorial leader, centralized autocracy, militarism, forcible suppression of opposition, belief in a natural social hierarchy.“6 Damit bewegte Kelly sich im Rahmen landläufiger Faschismusdefinitionen.7 Im Oktober vergangenen Jahres pflichtete die Historikerin Benedetta Carnaghi von der Durham University der Einschätzung bei: „I believe that Trump would act as fully-fledged fascist if he could. The question is: will the American people let him do so? He has, in fact, enacted fascist-lite policies to the extent that his power allowed.“8 Bislang deutet wenig darauf hin, dass „das amerikanische Volk“ und die Institutionen, die geschaffen wurden, die Exekutive zu kontrollieren, ihn darin hindern werden. Im Gegenteil, es sind neue Elemente zu verzeichnen, die Trump in die wenig ehrenvolle Reihe von faschistischen Machthabern einreihen: territoriale Expansionsgelüste (Kanada, Grönland, Panamakanal) sowie Pläne der ethnischen Säuberung (Gazastreifen).
Schneller als Mussolini?
Benito Mussolini benötigte mehr als zwei Jahre, um die italienische Demokratie endgültig auszuschalten. Beim Tempo, das Trump und sein Kumpan Musk an den Tag legen, werden sie dieses Ziel früher erreichen. Die USA sind bekanntlich stolz auf ihren Exzeptionalismus. Jedenfalls wird Philipp Roth nicht geahnt haben, dass seine Dystopie des Plot against America Realität werden kann. Wer heute noch daran glaubt, dass die Kongresswahlen 2026 frei und fair ablaufen werden oder dass Trump, sollte ihm nicht die Biologie einen Strich durch die Rechnung machen, am 20. Januar 2029 das Weiße Haus verlassen wird, erscheint – wie gesagt, weniger als ein Monat nach der erneuten Inauguration Trumps! – als hoffnungsloser Optimist. Ob Europa dazu imstande sein wird, vier (oder mehr) Jahre Präsidentschaft eines Faschisten im Weißen Haus zu überleben, darf tunlichst bezweifelt werden.
Eine geringfügig veränderte Version des Textes auf Englisch ist abrufbar auf dem Blog Frictions.
Beitragsbild: Kremlin.ru, Vladimir Putin & Donald Trump at APEC Summit in Da Nang, Vietnam, 11 November 2017 (04), CC BY 4.0
- Daniel Fried, Kurt Volker: The Speech In Which Putin Told Us Who He Was, Politico, 18.2.2022 (https://www.politico.com/news/magazine/2022/02/18/putin-speech-wake-up-call-post-cold-war-order-liberal-2007-00009918) [↩]
- Andrew Rawnsley: Europeans are right to be angry with Donald Trump, but they should also be furious with themselves, The Guardian, 16.2.2025. [↩]
- Simon Tisdall: Donald Trump’s betrayal of Ukraine has emboldened Vladimir Putin and pulled the rug from under Nato allies, The Guardian, 15.2.2025. [↩]
- Hubert Wetzel: Antwortsuche im Zappendustern, sueddeutsche.de, 15.2.2025 (https://www.sueddeutsche.de/politik/muenchen-sicherheitskonferenz-beziehungen-pruefstand-li.3202033?reduced=true) [↩]
- Timothy Snyder: What Doest It Mean that Donald Trump Is a Fascist?, The New Yorker, 8.11.2024. [↩]
- Michael S. Schmidt: As Election Nears, Kelly Warns Trump Would Rule Like a Dictator, New York Times, 22.10.2024. [↩]
- Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Faschismus [↩]
- Benedetta Carnaghi: Is Donald Trump a fascist? Here’s what an expert thinks, The Conversation, 25.10.2025. [↩]
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Redaktion ostBLOG (17. Februar 2025). Amerika (mit Russland) gegen Europa? Ein Faschist im Weißen Haus und das sich abzeichnende Ende des transatlantischen Bündnisses. ostBLOG. Abgerufen am 9. November 2025 von https://doi.org/10.58079/13bw3
